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Auszug aus "Was Köln im Jahrhundert erspart blieb", erschienen am 30.12.1998 im Kölner Stadt-Anzeiger, Autor: Anja Katzmarzik



Autobahn 1, Köln Richtung Dortmund. Kurz hinter dem Autobahnkreuz Köln-Nord weist eine Plakatwand die Fahrer auf Firmen in dem nahe gelegenen Gewerbegebiet hin. Schornsteine und Lagerhallen begrüßen den Besucher. Das Gebiet zwischen Niehl und Dormagen: ein einziges Industrieareal. Die Stadtteile Merkenich, Langel, Rheinkassel und Kasselberg gibt es schon lange nicht mehr. An ihrer Stelle liegt jenes riesige Gewerbegebiet, ein Prestige-Objekt der Stadt aus den 70er Jahren. Es gehört zur "Industrieschiene am Rhein", die von Köln bis Rotterdam führt.
Väter erzählen ihren Enkeln, wie es früher war. Erzählen, wie sie als Kinder auf dem Langeier Damm Drachen steigen ließen und mit den Eltern sonntags im Naturschutzgebiet Worringer Bruch spazieren gingen. Diese Orte ihrer Kindheit gehören der Geschichte an. Der Norden boomt, das neue Gewerbegebiet ist in den vergangenen fünf Jahren so schnell gewachsen, dass die Stadt mit der Infrastruktur nicht nachkam. 8000 Menschen arbeiten in rund 260 Unternehmen. Nach den Autoherstellern kamen die mittelständischen Betriebe, Baumärkte und Möbelhändler. Am Horizont: Die Silhouette eines Atomkraftwerkes. Ein gigantischer Bottich aus Stahl und Beton, die beiden haushohen Kühltürme sind noch weit sichtbar.
Und die Väter erzählen ihren EnkeIn, dass hier früher der Mennweg lag, an den weite Felder grenzten, und dass der Ort, zu dem dieser Weg gehörte, Langel hieß. Ihre Geschichten handeln von der Alten Römerstraße, auf der angeblich Napoleon reiste, und von lauen Grillabenden am Fühlinger See. Aber die Stimmen der Väter wer-den leiser, wenn sie von dem "schrecklichen Zwischenfall" erzählen, der sich hier 1982 ereignete: Ein Unglück im Atomkraftwerk, bei dem Radioaktivität frei gesetzt wurde. Ein Regierungssprecher sprach von einem noch nie da gewesenen Unfall. Ärzte kämpften tagelang um das Leben eines 35-jährigen Arbeiters. Der Mann war so stark verstrahlt worden, dass er wenig später im Longericher Heilig-Geist-Krankenhaus starb. 150 Bewohner aus der näheren Umgebung mussten in Sicherheit gebracht werden. Seitdem kämpfen Umweltschützer um die Stilllegung des 255 000 Tonnen schweren Atommeilers. Vergeblich...
Dieses Szenario hätte sich so zutragen können, tat es aber nicht. Merkenich wurde nicht dem Erdboden gleich gemacht, wie es die Stadtverwaltung geplant hatte, und es wurde auch kein Atomkraftwerk gebaut. Doch der Rat hatte es am 31.März 1969 tatsächlich so beschlossen: Das gesamte Gebiet zwischen Niehl und Dormagen sollte komplett zum Industriegebiet erklärt werden. Eine Idee von Hochbaudezernent Werner Baecker. Zahlreiche Proteste, die Entschädigungszahlungen, die die Stadt hätte leisten müssen, sowie ein verändertes Umweltbewusstsein wendeten die Realisierung ab. Am 27. Februar 1973 hob der Rat alle Veränderungssperren wieder auf, der Flächennutzungsplan 218 wurde nicht weiter verfolgt.