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Kölnische Rundschau vom 3. August 1978; Autor: Günter Schuster

Mehr als tausend Jahre Geschichte in der Amandus-Kirche - die Forscher rätseln

Geheimnisvolle Kirchenfunde

Renovierungsarbeiten dauern schon sieben Jahre
Sie ist die einzige Kirche in der Erzdiözese Köln, die nach dem heiligen Amandus (7. Jahrhundert) benannt ist und Experten bezeichnen sie als eine der schönsten Dorf-Pfarrkirchen am Niederrhein: die St.-Amandus-Kirche in Rheinkassel. Wanderer verweilen auf den Rheinwiesen und genießen den Blick auf die romanische, dreischiffige Basilika, die Ruhe in einer hektischen Zeit inmitten der ländlichen Idylle ausstrahlt.

Seit nunmehr acht Jahren allerdings gleicht das Gotteshaus einer Großbaustelle. 1970 wurde eine umfassende Restaurierung erforderlich. Seither machen die Bauarbeiter Funde, die teilweise zur Einstellung der Arbeit führen, ähnlich wie es bei Bauarbeiten in der Stadt der Fall ist, wenn da historische Spuren entdeckt werden. Archäologen und Heimatforscher kommen in das Rheindorf und begutachten die Funde.
"Ganz spannend" - so Pastor Hans Meixner - wurde es, wie erst jetzt bekannt wurde, im Januar. Genau an der Stelle im Mittelschiff, an der der aus der Apsis hervorgeholte Altar seinen neuen Standort finden sollte, fanden die Maurer eine Gruft. Zu dem 2,50 mal 2,50 Meter großen Gewölbe wurde eine Öffnung geschaffen. Damit war der Blick in das Ziegelsteingemäuer frei.
Zu sehen sind dort die Reste von zwei Eichensärgen mit Eisenkreuzen. Fast schon nicht mehr erkennbare, zersetzte Stoffreste lassen auf Talare schließen. Alles weitere bleibt zunächst im Bereich der Vermutungen.
Waren den Archäologen des Römisch-Germanischen Museums in Köln die Funde zu jung, so zeigte das Rheinische Landesmuseum in Bonn größeres Interesse. Die Bonner Denkmalpfleger datierten die Entstehung der Gruft in die Spätgotik oder die Zeit des Barock. "Wir hatten ein brennendes Interesse zu erfahren, wer dort begraben liegt", meinte Pastor Meixner. Aber es ergaben sich keinerlei Hinweise mehr.
Der Neugier wurden auch durch die Pietät (Ehrfurcht vor den Toten; die Red.) Grenzen gesetzt. Das Grab wird wieder verschlossen und überbaut. Wer dort seine letzte Ruhestätte fand, wird wohl ein Geheimnis bleiben. Aus statischen Gründen muss der Altar aber an einer anderen Stelle errichtet werden.

Vieles in der Amanduskirche ist und bleibt rätselhaft. Denn sämtliche Chroniken, Jahrbücher oder sonstige kirchliche Aufzeichnungen sind abhanden gekommen.
Plünderten 1797 französische Revolutionstruppen das Pfarrhaus, so ereilte die Rheinkasseler Pfarre nach dem zweiten Weltkrieg das gleiche Schicksal noch einmal - diesmal durch Besatzungstruppen. Sogar ein Taufbuch aus dem Jahr 1517 verschwand.

Ein erster Blick auf die Kirche lässt auf ein hohes Alter schließen. Schon im Jahr 900 gab es an dieser Stelle einen Friedhof. Das konnte durch den Fund eines Totenschädels am Mittelschiff und von Grabsteinen am nördlichen Seitenschiff erhärtet werden. Zu Beginn der zwanziger Jahre wurden auch zwei gut erhaltene römische Steinsärge gefunden, über deren Verbleib jedoch ebenfalls nichts bekannt ist.

Auf die Entstehung eines ersten Kirchleins, auch "Klein-St.-Gereon" genannt, im 7. Jahrhundert lässt die Chronik von Merheim (linksrheinisch, heute Weidenpesch) schließen. Dort wird berichtet, dass die Gönnerin Plektrudis, die Gemahlin des fränkischen Hausmeiers Pipins von Hersitals, der Kirche St. Gereon zu Köln beträchtliche Güter - unter anderem eben auch Rheinkassel - schenkte.
Vermutlich wurde dann zwei Jahrhunderte später von dem flämischen Kloster Elno aus, einer Gründung des heiligen Amandus, die Kirche am Rhein gebaut. Es findet sich noch heute karolingisches Mauerwerk. Außerdem bestätigte Karl der Einfältige 899 dem Kloster Besitzungen am Rhein.
Lange wurde in der Kirche ein rechteckiges Chor vermutet. Auch dieses Chor wurde bei den jetzigen Restaurierungsarbeiten entdeckt.
In einer Chronik des Jahres 1156 wurde Rheinkassel als Besitz des Kölner Gereonstifts erwähnt. In dieser Zeit des hohen Mittelalters wurde St. Amandus neu gebaut, und zwar mit deutlichen Anklängen an die annonische Chorpartie von St. Gereon in Köln, wenn auch in dörflich verkleinertem Maßstab. 1220 bis 1240 erfolgte die Erweiterung zur dreischiffigen Basilika mit zweitürmigem Chorschluß zum Rhein hin. Wegen der Ähnlichkeit zu St. Gereon in Köln wird St. Amandus in Rheinkassel oft auch als "Klein-St.-Gereon" bezeichnet.

Rätselhaft ist bis heute, wie der Kirchbau an seinen anderen historischen Benennungen kam. Bis ins 18. Jahrhundert wurde er nämlich auch "Todemannskirch" genannt. Ein Totenkopf, am mächtigen Westturm eingemauert, deutete auf den Tod hin. Häufig wurden in Rheinkassel Wasserleichen angespült. Rund um die Kirche fanden sie ihre letzte Ruhestätte.

Andere Interpretationen, so ein Kupferstich von Wenzel Hollar (1652), der die "Dormanskirch" zeichnete, oder Fragmente einer Pfarrchronik, die die Erklärung "To de Amanduskirch" gibt, lassen die Namensgebung offen.

Die umfangreichen Restaurierungsarbeiten an der Pfarrkirche werden kaum vor 1979 beendet sein. Morsches Gemäuer, starke Schäden im tragenden Gewölbe oder auch die Funde verlängern die Bautätigkeit. Dennoch liegen im Pfarrheim, das auch als Notkirche dient, Pläne aus, wie die alte St.-Amandus-Kirche später einmal mit den vorhandenen Kleinodien ausgeschmückt erden soll.