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Kölner Stadt-Anzeiger vom 23. Februar 2005, Autor: Schmalenberg

Ein Foul, das ein Leben verändert hat

Querim Hoxhaj will eine Entschädigung. Er könnte bis zu 100 000 Euro vor Gericht erstreiten.

In dem Moment, der sein Leben radikal verändern sollte, hörte der junge Mann ein lautes Krachen. „Das war so heftig, dass selbst weit entfernt stehende Zuschauer entsetzt die Hände vors Gesicht schlugen“, erzählt Querim Hoxhaj. Zweieinhalb Jahre ist es her, da wurden ihm durch ein Foul beim Fußball das rechte Schienbein und Sprunggelenk zertrümmert. Jetzt will Hoxhaj vor dem Kölner Landgericht eine Entschädigung durchsetzen.

Zunächst geht es um Schmerzensgeld. Wenn ihm eine Entschädigung grundsätzlich zugesprochen wird, drohen seinem Gegner in einem weiteren zivilrechtlichen Prozess Zahlungen von bis zu 100 000 Euro. Denn zum Schmerzensgeld kämen noch der Verdienstausfall, Gerichts- und Behandlungskosten sowie das von der Kasse gezahlte Krankengeld. Bundesweit wäre dies wohl die bisher höchste Strafe für einen Brutalokicker.

„Noch nicht mal entschuldigt hat er sich bei mir“, klagt Hoxhaj verbittert. Immer wieder denkt er an jenen Sonntag im September 2002, an die letzte Minute im Match gegen den FC Rheinkassel-Langel. In der eigenen Hälfte erkämpfte sich der Stürmer des TuS Rheindorf den Ball. Sein Team führte 3:0. Zwei Tore hatte Hoxhaj vorbereitet, eins selber erzielt. Doch das war ohne größere Bedeutung. Die Mannschaften spielten in der Kreisklasse D des Fußballkreises Köln, in der alleruntersten Liga. Der Platz sah aus wie ein Kartoffelacker, holprig und an einige Stellen störten Maulwurfhügel den Spielfluss.

Hoxhaj stürmte mit dem Ball am Fuß übers Feld. „Dem breche ich die Knochen“, hatte Genaro C., die Nummer 9 der Rheinkasseler laut Zeugen zuvor angekündigt. In Höhe des Strafraums passte Hoxhaj den Ball quer zu einem Mitspieler. Gegenspieler Genaro, der ihn verfolgt hatte, trat hinterrücks zu. Der 20-Jährige setzte genau in dem Moment zur Sense an, als der Ball den Fuß von Hoxhaj verließ.

Die in kleine Stücke zerborstenen Knochen sind seitdem nicht mehr richtig zusammengewachsen. Fünfmal musste der 29-Jährige deshalb operiert werden. Den Job als Maschinenführer im Baugewerbe hat er verloren. Er kann nur mit Mühe länger als zehn Minuten stehen oder gehen. Ohne Schmerzmittel kann er nicht schlafen.

Seine Aussichten, den jetzt anstehenden Prozess zu gewinnen, sind gut. Weil er den Anwalt nicht zahlen kann, hat das Amtsgericht Prozesskostenhilfe gewährt. Dies geschieht nur dann, wenn die Juristen ein berechtigtes Anliegen sehen. Zudem ist sein Gegenspieler im Strafverfahren vor dem Landgericht bereits wegen Körperverletzung verurteilt worden. Er kam mit bescheidenen 70 Sozialstunden davon. Und vom Fußballverband wurde er nur lächerliche drei Monate gesperrt.

Derart milde Strafen sind nichts Ungewöhnliches. Häufig kommen Treter mit ein paar Wochen Sperre und, wenn es ganz schlimm kommt, zur Buße mit ein paar Tagen Arbeit in einer sozialen Einrichtung davon. Gleichzeitig jedoch wird die Situation auf den Amateurplätzen immer bedrohlicher.

Insbesondere in Großstädten geht es zunehmend brutaler zur Sache. Vor einigen Tagen wurde ein Verein aus Porz vom Spielbetrieb der laufenden Saison ausgeschlossen. Spieler und Fans hatten wüst auf ihre Gegner eingeschlagen. Die Besatzung von fünf Streifenwagen war nötig, um die Tobenden zu beruhigen. Im Stadtteil Höhenberg brach der Stürmer einer Gastmannschaft bei Tumulten einer Zuschauerin das Nasenbein und schlug danach mit der Eckfahne um sich. In München wurden 14-jährige C-Jugendliche nach einem Spiel durch die Stadt gehetzt und zusammengeschlagen. In Leverkusen prügelte der Vater eines fünfjährigen Kickers den Schiedsrichter eines Freundschaftsspiels krankenhausreif. Im hessischen Erbenheim konnte erst eine Hundestaffel der Polizei die Keilerei 15-jähriger Spieler beenden. In Berlin gingen Pöbelkicker mit Totschlägern, Messern und einer Gaspistole auf ihre Gegner los.

Bundesweite Statistiken über Gewalt auf dem Fußballplatz existieren nicht. Es gibt nur einige wenige regionale Daten. Und zwar nur dann, wenn einer der örtlichen Funktionäre aus eigenem Antrieb eine Strichliste führt. Wie im Fußballkreis Köln: Hier sahen in der vergangenen Saison 628 Spieler die Rote Karte, 47 Begegnungen mussten unter anderem wegen Massenschlägereien oder Attacken gegen Schiedsrichter abgebrochen werden. Das „Vorbild“ der Erwachsenen zeigt mittlerweile auch beim Nachwuchs Wirkung. 347 Jugendkicker wurden in der vergangenen Spielzeit vom Platz gestellt, 26 Partien abgebrochen.

Ob Querim Hoxhaj trotz guter Prozessaussichten am Ende tatsächlich eine Entschädigung erhält, ist fraglich. Genaro C., der ihn gefoult hat, ist arbeitslos. Wegen zahlreicher Schulden hat er zudem den Offenbarungseid geleistet. Sein Verteidiger beantragte deshalb vor Monaten die Einstellung des Verfahrens. „Kommt nicht in Frage“, entgegnete Hoxhaj-Anwalt Mark Wilson und vereinbarte den Termin am Landgericht: „Schließlich hat ihr Mandant noch jahrzehntelang Zeit, Geld zu verdienen.“



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